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Polen, Ungarn, Niederlande: Führerscheintourismus brummt – Rheinische Post





München (rpo). Rund 100.000 Autofahrer müssen Jahr für Jahr in Deutschland ihren “Lappen” abgeben – in vielen Fällen wegen Alkoholvergehen. Die hohe Hürde, die vor der Wiedererlangunge des Führerscheins steht, heißt Idiotentest. Und viele scheitern an der Hürde. Da ist es viel praktischer und einfacher, den Führerschein gleich im Ausland neu zu erwerben. Kein Wunder also, dass der Führerscheintourismus boomt.
Wollen die Verkehrssünder in Deutschland nach ihrer Sperre jemals wieder zurück ans Steuer, müssen sie die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) bestehen, landläufig auch Idiotentest genannt. Doch die Hürde ist hoch. “Die Durchfallquote liegt im ersten Anlauf bei 70 Prozent”, wie Herbert Engelmohr, Jurist des Autoclubs AvD, weiß. Da ist ein neues Schlupfloch vielen lieber: Den Führerschein im benachbarten Ausland der Europäischen Union (EU) neu machen.
“Der Führerscheintourismus nach Polen, Ungarn, Tschechien oder Holland brummt, und zwar immer stärker”, berichtet Markus Schäpe, Jurist beim ADAC in München. So richtig begonnen hat das Geschäft mit ausländischen Fahrerlaubnissen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs Ende April 2004 (EuGH C-4761/01). Die höchsten Richter in Europa entschieden damals: innerhalb der EU muss jede Fahrerlaubnis anerkannt werden, die in einem der Mitgliedstaaten legal erworben wurde. Eine Rechtslücke für alle MPU-Kandidaten.
Fälschungen inklusive
“Kaum war das Urteil bekannt, schon hatten wir die ersten Anfragen auf dem Tisch”, erinnert sich Engelmohr. Bei deutschen Interessenten wuchs schlagartig die Hoffnung, alle Probleme mit dem Erwerb der fremden Fahrerlaubnis elegant aus der Welt schaffen zu können.
Seit Monaten schon überbieten sich Vermittler im Internet – vor allem aus dem osteuropäischen Raum – mit immer neuen Offerten. Geworben wird für Schnell-Kurse in Polen, Ferienunterricht in Tschechien oder Eilprüfungen in Ungarn. Alles “legal, rasch, preiswert und ohne MPU”, wie die Anzeigen versichern.
Ab 500 Euro aufwärts soll angeblich schon der eine oder andere polnische Führerschein zu haben sein. Ein tschechisches oder ungarisches Exemplar kostet meist mehr, ab 1.000 bis über 3.000 Euro, je nach gewählter Hotelkategorie, Betreuung, Dolmetscher-, Anreise- und Verwaltungskosten. Gefälschte Aufenthaltsnachweise inklusive. Denn nach europäischen Recht muss der Prüfling darlegen, dass er mindestens 185 Tage in dem Land auch gewohnt hat, in dem der Führerschein ausgestellt wird.
Viel Schindluder
“Da wird viel Schindluder getrieben”, warnt Schäpe. Wenn man einen Führerschein innerhalb von zwei Wochen in einem fremden Land machen könne, “geht es nicht mit rechten Dingen zu”. Nicht jeder Anbieter sei seriös, nicht jeder Führerschein auch echt. “Wir wissen von Leuten, die bekamen Dokumente ohne reguläre Seriennummer ausgehändigt”, berichtet der ADAC-Experte. “Die sind nichts wert, das Geld ist futsch.”
“Das ist alles mit hohen Unsicherheiten verbunden”, mahnt auch AvD-Jurist Engelmohr zur Vorsicht. Selbst wenn die erkaufte fremde Fahrerlaubnis echt ist, sollten sich die Prüflinge nicht zu früh freuen. Das böse Erwachen komme häufig zu Hause in Deutschland, bei der ersten Ausweiskontrolle hinterm Steuer, berichtet Schäpe. Zehn Jahre lang bleibt der Führerscheinentzug in der Flensburger Kartei gespeichert. “Kriegt die Polizei dann den ausländischen Führerschein eines Fahrers mit deutschem Wohnsitz präsentiert, wird genau nachgesehen.” Zwar darf der Kontrollierte zunächst einmal mit dem neuen Schein weiterfahren. Daran kann er nicht gehindert werden. “Trotzdem wird es spannend. Dem Betroffenen wird das Leben sicher nicht leicht gemacht”, meint Engelmohr.
Führerscheinstelle forscht nach
Die möglichen Folgen: Die Führerscheinstelle forscht im Ausland nach, ob die angegebene Aufenthaltserlaubnis erschwindelt war. Zwar darf ein Verstoß nicht von den deutschen Behörden moniert werden. Missetäter haben keine Strafe zu fürchten. Doch besteht das Risiko, dass der ausländische Aussteller den Führerschein wieder zurücknimmt. Wer den EU-Führerschein beruflich braucht, sollte vorher klären, ob der Chef ihn akzeptiert. Sonst kann es zusätzlich Ärger geben.
“Ob ein Autofahrer die Last der drohenden MPU mit dem neuen Schein für alle Zeiten los ist oder nicht, wird das nächste EuGH-Urteil zeigen”, meint Schäpe. Bis dahin gilt: gibt es auch nur einen Zweifel an der Fahreignung, kommt eine Aufforderung zum “Idiotentest”. Und dann muss der Betroffene damit rechnen, dass er tatsächlich nicht mehr in Deutschland ans Steuer darf. Neuer EU-Führerschein hin oder her.

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